70 Prozent nahmen Substanzen zur Steigerung der kognitiven Leistungsfähigkeit

nrwheute
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Aufgrund von Stress, Deadline-Druck und dem Wunsch, die Leistung zu verbessern, greifen viele Menschen zu legalen oder illegalen Substanzen, um ihre kognitive Leistungsfähigkeit zu steigern – das heißt, ihre Konzentration, Wachsamkeit oder Gedächtnisfunktion zu verbessern. Forscher der Universitäten Bielefeld, Köln, des Instituts de recherches cliniques de Montréal in Kanada, Erfurt und des Universitätsklinikums Köln haben untersucht, wie viele Menschen tatsächlich solche “Neuroenhancer” (also Gehirn-Doping-Medikamente) nutzen und wie ihre persönlichen Hintergründe aussehen. Die Daten wurden von mehr als 22.000 Teilnehmern analysiert, was diese Studie zur bisher größten repräsentativen Untersuchung zur Verbreitung von Neuroenhancern in Deutschland macht.

Die Studie, veröffentlicht im Journal ‘Deviant Behavior’, ist Teil des Projekts ‘ENHANCE’, das von Dr. Sebastian Sattler von der Fakultät für Soziologie der Universität Bielefeld geleitet wird, zusammen mit Professor Dr. Guido Mehlkop von der Fakultät für Politikwissenschaft der Universität Erfurt. Das Projekt wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) finanziert. Frühere Studien basierten auf deutlich weniger Fällen, verwendeten oft keine repräsentativen Stichproben oder lieferten unklare Ergebnisse.

Die Umfrage zeichnete auf, ob und wie oft die Teilnehmer in der Vergangenheit ohne medizinische Notwendigkeit legale Substanzen wie Koffein und Koffeintabletten, Nahrungsergänzungsmittel und Hausmittel, verschreibungspflichtige Medikamente sowie illegale Drogen konsumiert hatten, um ihre kognitive Leistung zu steigern. Die Umfrage fragte auch nach persönlichen Merkmalen wie Alter, Geschlecht, Bildungshintergrund, Beschäftigungsstatus und Einkommen. Laut der Umfrage hatten insgesamt sieben von zehn Befragten (69,9 Prozent) in den letzten zwölf Monaten mindestens eine dieser leistungssteigernden Substanzen konsumiert, wobei viele von ihnen auch mehr als eine Substanz konsumierten.

Die häufigsten Substanzen waren koffeinhaltige Getränke, gefolgt von Nahrungsergänzungsmitteln und Hausmitteln. Koffeinhaltige Getränke, zu denen Energiegetränke und Kaffee gehören, wurden von 64,2 Prozent der Befragten genannt, die angaben, dass sie diese in den letzten zwölf Monaten mit dem ausdrücklichen Ziel konsumiert hatten, ihre kognitive Leistung zu steigern. Nahrungsergänzungsmittel und Hausmittel wie Ginkgo biloba waren die zweithäufigsten Neuroenhancer (31,4 Prozent); 3,7 Prozent der Befragten gaben auch an, dass sie derzeit verschreibungspflichtige Medikamente ohne medizinische Notwendigkeit einnehmen (lebenslang: 5,5 Prozent), was etwa 2,5 Millionen Nutzern entspricht (lebenslang: 3 Millionen).

40 Prozent können sich vorstellen, Drogen zur Leistungssteigerung einzunehmen. Von diesen Menschen gab fast jeder dritte an, solche Drogen innerhalb eines Jahres mindestens 40 Mal verwendet zu haben. Etwa 40 Prozent der Befragten schließen eine zukünftige Nutzung solcher Drogen zur Leistungssteigerung nicht grundsätzlich aus. Darüber hinaus gaben 4,1 Prozent der Befragten an, in den letzten zwölf Monaten Cannabis konsumiert zu haben, vermutlich um sich von Stress zu erholen oder ihre Kreativität zu stimulieren. Der Konsum anderer illegaler Substanzen wie Kokain oder Amphetamin war mit 1,4 Prozent in dem Zwölf-Monats-Zeitraum eher selten.

Die Verwendung verschiedener Substanzen variiert je nach sozialer Gruppe. Männer nehmen beispielsweise häufiger als Frauen Koffeintabletten und illegale Drogen wie Kokain, um ihre geistige Leistungsfähigkeit zu steigern. In städtischen Gebieten ist auch der Gebrauch illegaler Drogen im Vergleich zu ländlichen Gebieten verbreiteter.

Es gibt drei altersspezifische Trends beim Gebrauch von Neuroenhancern in der Studie: Personen im Alter von 35 bis 44 Jahren und jünger konsumieren koffeinhaltige Getränke und Koffeintabletten signifikant häufiger als ältere Menschen. Diese Altersgruppe ist am wenigsten geneigt, verschreibungspflichtige Medikamente ohne medizinische Notwendigkeit zur Verbesserung ihrer Leistung zu nehmen, aber junge und ältere Menschen nutzen sie signifikant häufiger. Der Konsum illegaler Substanzen hingegen ist hauptsächlich bei jüngeren Menschen bis zum Alter von 34 Jahren verbreitet, danach ist die Wahrscheinlichkeit ihrer Verwendung stark reduziert.

Trotz manchmal nur geringer Beweise basiert der Konsum vieler Substanzen auf persönlichen Erwartungen. Laut Co-Autor Professor Dr. Uwe Fuhr vom Zentrum für Pharmakologie am Universitätsklinikum Köln gibt es sicherlich Substanzen, die auch bei gesunden Menschen leistungssteigernde Effekte haben: Drogen mit den Wirkstoffen Modafinil oder Methylphenidat, die zur Behandlung von Erkrankungen wie Tagesmüdigkeit und Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) verschrieben werden, können bestimmte Aspekte der kognitiven Leistungsfähigkeit nicht nur bei Personen mit solchen Indikationen, sondern auch bei gesunden Menschen verbessern. Jedoch hat nicht alles, was derzeit eingenommen wird, die gewünschte Wirkung.

Es gibt rechtliche, soziale und ethische Implikationen aufgrund der Nebenwirkungen solcher leistungssteigernden Medikamente. Es stellt sich die Frage, ob sie einen unfairen Vorteil bieten, vergleichbar mit dem Doping im Sport. Darüber hinaus setzen sich die Menschen oft unbekannten Gesundheitsrisiken aus, wenn sie solche Substanzen kombinieren. Prävention stellt eine zentrale Frage dar: Wie können Arbeitswelt und Gesellschaft organisiert werden, um die Risiken zu minimieren?

Die ENHANCE-Konferenz vom 10. bis 12. Dezember an der Universität Bielefelds Zentrum für Interdisziplinäre Forschung (ZiF) wird voraussichtlich Antworten auf diese Frage liefern. Besucher können dort Einblicke in die aktuelle Forschung zu Neuroenhancern erhalten und diskutieren, wie präventive Maßnahmen umgesetzt werden können. Die offene Publikation der Studie bietet einen wichtigen Beitrag zur Transparenz und Nachvollziehbarkeit der Forschungsergebnisse im Bereich der kognitiven Leistungssteigerung.

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