In dieser Vorlesung werde ich die gegenwärtige Voreingenommenheit des historischen Denkens, die in Benedetto Croces Behauptung “alle Geschichte ist zeitgenössische Geschichte” festgehalten ist, in Frage stellen. Ich werde vorschlagen, historisches Wissen als eine Form antizipatorischen Wissens zu betrachten, das in der Lage ist, nicht nur unsere Vergangenheit zu erzählen, sondern auch Konturen unserer Zukunft zu beleuchten. Durch die Analyse neuer Objekte wie Plastiglomerate, kürzlich erstellte Zeitschriftenkapseln sowie die Auseinandersetzung mit zeitgenössischen Kunstwerken, wie Maarten Vanden Eyndes “Das Museum der vergessenen Vergangenheit” (2012), werde ich die Bedeutung der Identifizierung und Analyse von “antizipatorischen historischen Quellen” argumentieren. Als Markierungen für die Zukunft sind sie entscheidend für den Aufbau eines zukunftsorientierten Verständnisses unserer Vergangenheit.
Durch die Einführung des Konzepts des antizipatorischen historischen Denkens werde ich eine präventive Dimension des historischen Wissens erkunden, die sowohl die individuelle als auch die kollektive Widerstandsfähigkeit, d.h. unsere Fähigkeit, sich anhaltenden Krisen anzupassen und zu gedeihen, verbessern könnte. Die Diskussion erstreckt sich auf die ethischen Dimensionen historischer Forschung, reflektiert die “Pflicht des Historikers zur Antizipation” angesichts eskalierender und sich vervielfältigender Krisen und untersucht das “Recht auf die Zukunft” wie von Shoshana Zuboff formuliert.
In meinem Versuch, ein systematisches Projekt der antizipatorischen Geschichte aufzubauen, das sich auf Ontologie (Erkundung antizipatorischer historischer Quellen), Erkenntnistheorie (Reflexion über antizipatorisches historisches Denken) und Ethik (Meditation über die antizipatorischen Pflichten und Gefühle der Historiker sowie antizipatorische Tugenden wie kritisches Hoffen und Vertrauen) konzentriert, zielt diese Vorlesung darauf ab, nicht nur dafür zu plädieren, die Geschichte auf die Zukunft auszurichten, sondern auch die Vorstellungskraft der Historiker zu stärken und ihr verborgenes Talent zu fördern, verschiedene Szenarien für die Zukunft zu spekulieren.
Anmeldung für Zoom unter: theoriezentrale-geschichte@uni-bielefeld.de